Die Familie Chotzen

Eine ganz normale Familie aus Wilmersdorf

Es sind diese dunklen November-Abende beim Laufen, die etwas Unheimliches haben und vom 9. auf den 10. November eine der dunkelsten Nächte der deutschen Geschichte sind. Mit der Reichskristallnacht oder heute in den Lehrbüchern ꞌReichspogromnachtꞌ benannt, kommen bei mir immer wieder diese Gedanken hoch, was alles hätte nicht passieren dürfen.

Unter all den Verfolgten dieser Zeit, waren auch Sportler:innen, die einfach nur an der Startlinie stehen wollten, wo eigentlich alle Menschen gleich sein sollten. Doch sie wurden aus ihren Heimatvereinen ausgeschlossen, Funktionäre ausgetauscht, welche nicht auf der politischen Linie waren.

 

Mit 8 Jahren, also 1973, bin ich dem Berliner Sport-Verein 1892 (BSV 92) in Wilmersdorf beigetreten, zuerst der Fußball- und etwas später der Leichtathletik-Abteilung. Dieser Sportverein war nahe am Wohnort meiner Eltern und somit zu Fuß erreichbar. Mein Weg führte dabei immer über den Heidelberger Platz, durch die Johannisberger Straße, wo wir auch unseren Schrebergarten haben. Jahrelang war dies mein Weg zum Verein hin und zurück, im Winter dunkel, im Sommer durch die Bäume schützend schön.

Als ich dann vom aktiven Sportler zum Funktionär wechselte und 2003 Präsident meines Heimatvereins BSV 92 wurde, stellten sich mir viele Fragen. Eine davon war, wie sind wir eigentlich mit der Zeit des Nationalsozialismus umgegangen. Bei Recherchen wurde ich auf die Familie Chotzen aufmerksam; ꞌEine ganz normale Familieꞌ im Herzen von Wilmersdorf, die in der Johannisberger Straße 3 gelebt hat.      

Vier sportliche Söhne hatten Elsa und Josef Chotzen, die einst aus Cottbus kamen. Es waren Josef, genannt Eppi, Hugo-Kurt, Erich und Ullrich-Joachim, die nicht nur auf meinem Weg zum Verein lebten, sondern auch in meinem Verein Mitglied waren, in verschiedenen Abteilungen. Doch die Familie war jüdischen Glaubens, weniger streng auslebend, aber eben zur damaligen Zeit ein Grund sie auszuschließen und später zu ermorden.

Mich hat das bewegt, andere mit denen ich sprach ging es ähnlich und wir nahmen Kontakt mit zuständigen Institutionen auf. Schnell wurde über die ꞌFamilie Chotzenꞌ einiges zusammen getragen, gefunden und uns geschenkt.

Es wurden Historiker begeistert und Mittel zur Verfügung gestellt, diese familiäre Geschichte, welche normal bürgerlich war, aber bezeichnend für Viele, aufzuarbeiten. So entstand 2004 der Dokumentarfilm Chronik eines verordneten Todes - die Vernichtung einer deutschen Familie, wo an original Schauplätzen, auch im ꞌStadion Wilmersdorfꞌ und mit BSV 92 Leichtathleten:innen gedreht wurde.

Dies hatte nachhaltig etwas bewirkt, auch bei meinem Heimatverein und so beantragten wir die Posthume Ehrenmitgliedschaft für die vier Brüder der ꞌFamilie Chotzenꞌ, welche ich mit einer Ausstellung im ꞌRathaus Wilmersdorfꞌ, in Anwesenheit der Freundin der Familie Ilse Rewald, am 17. Juni 2005 überreichen durfte.

Weiterführend entstand 2008 ein Buch, welches die Lebenssituation der Familie darstellte, mit dem Titel; Das Haushaltsbuch der Elsa Chotzen und es wurde eine Homepage für Lern- und Lehrmittelzwecken erarbeitet, mit dem Namen Die Familie Chotzen.

Als es etwas ruhiger wurde um die geschichtliche Aufarbeitung der ꞌFamilie Chotzenꞌ, wurde unserem Antrag auf Verlegung von Stolpersteinen an ihrem Wohnhaus zugestimmt. Am 18. Oktober 2014 haben wir diese mit dem Projektkünstler Gunter Demnig verlegen dürfen, wobei zwei von den fünf Stolpersteinen Die Laufpartner finanziert haben.

Auch wurde im Haus der Wannsee-Konferenz ein Zimmer der ꞌFamilie Chotzenꞌ gewidmet, deren Inhalte gerade digitalisiert in einem Seminarangebot Die Geschichte der Familie Chotzen abgefragt werden können. Im Frühjahr wurde die Die Wannseekonferenz - Die Dokumentation im ZDF veröffentlicht, wo ꞌFamilie Chotzenꞌ eingebunden war. Ebenso gibt es aktuell, bis März nächsten Jahres, eine Ausstellung in der Villa Oppenheim mit dem Titel Bilder nach der Erinnerung von der Nachfahrin und in Israel lebenden Inbar Chotzen.

 

Wenn wir in dieser Jahreszeit mit unserem Lauftreff Dahlem unterwegs sind, wo wir durch die Straßen streifen, weil es für den Wald zu dunkel geworden ist, dann kommen wir auf dem Rückweg durch die Johannisberger Straße. Mein Blick geht dabei an der Hausnummer 3  immer in die Wohnung der ꞌFamilie Chotzenꞌ. Wer da jetzt wohl lebt und in welchen Verein die Kinder gehen. Etwas später sind wir an dem Schrebergarten meiner Eltern, dort wo ich meine Kindergeburtstage feierte, meine Kinder ihre und wir als Verein unsere Sommerfeste.

Eine schöne Gegend, im November leider melancholisch behaftet und mir geht dann lange das Lied ꞌKristallnachtꞌ von BAP, nicht aus dem Kopf !

Volkmar Scholz

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