Olympische Spiele 1920

Sternstunden der Sportgeschichte

Kaum einer weiß in der Hitzewelle und der Corona-Pandemie, dass am heutigen 14. August, vor genau 100 Jahren, in Antwerpen die ‘VII. Olympischen Spiele‘ vom belgischen König Albert I. eröffnet wurden.

Der ‘1. Weltkrieg‘ mit 10 Millionen Opfern und die ‘Spanische Grippe‘ als Pandemie, mit 50 Millionen Verstorbenen, war gerade erst überstanden. Die olympischen Werte von Baron de Coubertin lagen in Trümmern, als der amerikanische Sportfunktionär Gustavus T. Kirby, seinerzeit im Verteidigungsministerium für den Wiederaufbau Belgiens zuständig und IOC-Mitglied, auf die Idee kam, Antwerpen die ‘Olympischen Spiele‘ überzuhelfen. Er warb mit der Idee, auch zum Überleben der olympischen Bewegung und so wurden kurzfristig die Nationen der Welt eingeladen, welche nicht feindselig zuvor dem Krieg beigetreten waren. Damit blieben das unterlegende Deutschland, Österreich und deren Verbündete Bulgarien, Ungarn und die Türkei außen vor.

Zu erwähnen wäre dabei, dass Gustavus T. Kirby selber aktiver Fechter war und als Erfinder der Lichtschranke gilt. Für uns heute völlig normal, einen Zieleinlauf fotografisch festgehalten zu bekommen, doch damals ein Novum. Jedoch normal war, dass Sommerspiele zwei Mal im Jahr ausgetragen wurden. Im Frühjahr, also April bei kühleren Temperaturen, fanden die Winter-Sportarten Eiskunstlaufen und Eishockey statt. Beide Sportarten zählten damals zum 'Olympischen Sommerprogramm' und wurden erst 1924 mit der Einführung der ‘Winter- und Sommer-Olympiade‘ getrennt.

Wassersport

Damals wie heute, ging es von Beginn an bei den ‘Olympischen Spielen‘ zuerst ins Wasser. Dabei absolvierten die Schwimmer/innen ihre Wettkämpfe in einem Kanal der Stadt, weil es so kurz nach dem Krieg keine funktionierenden Schwimmhallen gab. Wobei dieser Kanal es in sich hatte, es wurde von einer stinkenden, dunklen Brühe berichtet, wo man mit Ratten um die Wette schwamm.

Doch die amerikanische Schwimmerin Ethelda Bleibtrey durchpflügte das Wasser oder vielmehr den Schlamm, wie sie es nannte und schwamm darin fünf Weltrekorde sowie zu drei Gold-Medaillen, die sie sich beim König abholte.

Bei den Männern schwamm der damalige, amerikanische Superstar Duke Kahanamoku zu drei Gold- und zwei Silber-Medaillen. Auf Hawaii geboren und aufgewachsen, mit dem Spitznamen ‘Big Kahuna‘ ausgestattet, wurde ihm später ein Denkmal gesetzt. Als Film-Regisseur Quentin Tarantino in ‘Pulp Fiction‘ das Burger-Restaurant ‘Big Kahuna‘ nannte.

Die Wasserballer hatten hingegen andere Probleme, denen war das Wasser zu kalt. Kurzerhand boykottierten einige der italienischen Wasserballer die zweite Halbzeit gegen Spanien, wo es 1:1 stand. Drei Spieler kamen nur noch aufs Spielfeld und die Partie wurde für Spanien siegreich abgebrochen.

Bei den Ruder-Wettkämpfen gab es nicht ganz so viele Sieger, da die Bootsklassen noch sehr reduziert waren. Doch ein Sieger stach heraus, es war der Amerikaner John B. Kelly, einst von englischen Regatten ausgeladen, mit der Begründung, dass seine berufliche Tätigkeit als Maurer, ihn körperlich den britischen Akademikern überlegen macht.

Später rückte er durch seine Tochter Grace wieder ins öffentliche Interesse, denn sie wurde erst als Hollywood-Schauspielerin weltberühmt und später ‘Fürstin von Monaco‘.

Tennis

Bei dieser Sportart ging es noch nicht um das große Geld, aber der weiße Sport war es schon damals. Die Französin Suzanne Lenglen, auch genannt ‘Die Göttliche‘, verkörperte diesen Sport zu dieser Zeit am deutlichsten und dominierte die Tenniswelt. Fünf Mal gewann sie Wimbledon, 12 Grand Slam-Titel und 73 Turniere sowie auch die Olympische Gold-Medaille, wo man davon sprach, dass sie über das Tennisfeld tanzte.

Fußball

Kurz nach den weltpolitischen Ereignissen, waren die ‘Olympischen Spielen‘ kein Zuschauermagnet. Die Bedingungen anders als heute und so blieben viele dieser Idee fern, auch weil die Eintrittspreise zu hoch waren. Reagiert hat man dann beim Fußball und der Leichtathletik, wo zum Fußball-Endspiel 60.000 Zuschauer ins Stadion von Antwerpen kamen.

Dort standen sich Belgien und die Tschechoslowakei gegenüber, spielten um die Gold-Medaille, der damals höchsten sportlichen Fußball-Auszeichnung, denn erst 1930 wurde die erste Fußball-Weltmeisterschaft in Uruguay ausgetragen.

Als nun der Schiedsrichter im Endspiel offensichtlich gastgeberfreundlich pfiff und Belgien einen umstrittenen Elfmeter erhielt, verließen die Gegner aus Protest, nach knapp 40 Minuten, das Spielfeld. Das wurde danach vom Publikum gestürmt und Belgien kurzerhand zum Olympiasieger erklärt.

Leichtathletik

Im Stadion von Antwerpen endeten die ‘Sommer-Spiele‘, doch zuvor gingen auch dort einige ‘Sterne der Sportgeschichte‘ auf.

Über 1500 Meter gewann der britische Mittelstreckler Philip Noel-Baker die Silber-Medaille. Der Name wäre wahrscheinlich völlig untergegangen, doch 39 Jahre später wurde dem engagierten Labourpartei-Politiker der ‘Friedensnobelpreis‘ zugesprochen. Damit ist er der einzige Nobelpreisträger, der auch eine Olympia-Medaille gewonnen hat.

Auch Paavo Nurmi betrat die internationale Bühne, um über Jahre hinweg, Zeichen zu setzen. Der Stern des legendären finnischen Langstrecklers begann drei Mal in Gold zu leuchten und zwar über 10.000m, Crosslauf im Einzel sowie in der Teamwertung. Über 5.000m holte er zudem Silber, wurde aber auf der Zielgerade vom Franzosen Joseph Guiilemot überspurtet.

Dieser Sieg von Joseph Guillemot war eine Sensation, hatte er sich drei Jahre zuvor im Weltkrieg eine Senfgasvergiftung zugezogen, welche seine Atmung behinderte. Zudem hatte er, durch eine Anomalie sein Herz auf der rechten und nicht wie der überwiegende Teil der Bevölkerung auf der linken Seite.

Überschwänglich vor Freude über den Sieg, ließ Joseph Guiilemont den König warten, bis er ihm die Gold-Medaille überreichen konnte. Seine Verspätung erklärte er später mit den Worten; “Er hätte noch seine Haare kämen müssen !“ König Albert I. empfand diese Entschuldigung als nicht standesgemäß und ließ die Teilnehmer vorm 10.000m Rennen, mit Guillemot, durch eine dreistündige Ansprache auf ihren Start warten, der deswegen mehrfach verschoben werden musste.

Als es zu den ersten Siegen italienischer Athleten kam, war die Nationalhymne nicht mehr auffindbar. Der Geher Ugo Frigerio, bis heute einer der wenigen Geher, der bei zwei ‘Olympischen Spielen‘ Gold-Medaillen gewann, verteilte daraufhin Notenblätter für ‘O Sole Mio‘ an das Stadionorchester. Auch damit er zur richtigen Musik zur seiner Gold-Medaille gehen konnte, denn die Geher-Wettkämpfe fanden seinerzeit noch im Stadion statt, über 3.000m und 10.000m.

Abschlussfeier

Am Ende der ‘Olympischen Spiele‘ von Antwerpen, wo zum ersten Male ein ‘Olympischer Eid‘ geleistet und wofür eine neue ‘Olympia-Fahne‘ kreiert wurde, fortan mit den fünf Ringen, fehlte die Fahne.

Haig Prieste hatte diese beim Abschlussbankett, durch eine Wette mit seinem Mannschaftskollegen Duke Kahanamoku, vom fünf Meter hohen Fahnenmast abgenommen, mitgenommen und in seinen Koffer gepackt.

Er gehörte einer in die USA eigenwanderten armenischen Familie an und startete in Antwerpen im Turmspringen, wo er die Bronzemedaille gewann. Zuvor hatte Haig Prieste schon als Stuntman in Filmen gearbeitet und zu seinen Freunden zählte er Charlie Chaplin, Stan Laurel und Oliver Hardy.

Nach den ‘Olympischen Spielen‘ trat er unter dem Namen ‘Hal Haig Prieste‘ als professioneller Wasserspringer, Komödiant, Akrobat und Jongleur im Zirkus auf. Im Alter von 40 Jahren lernte er Schlittschuhlaufen und war in der Eisrevue ‘Ice Follies‘ eingebunden, dem Vorläufer von ‘Holiday on Ice‘ und blieb bei diesem Sport bis zu seinem 96. Lebensjahr.

1996, im Alter von 100 Jahren, nahm Haig Prieste anlässlich der ‘Olympischen Spiele‘ in Atlanta am olympischen Fackellauf teil, wo zufällig ein Reporter ihm gegenüber erwähnte, dass die 1920, während des Abschlussbanketts verschwundene Olympiafahne nie wieder aufgetaucht sei. Er antwortete dem Journalisten: „Da kann ich Ihnen helfen, die ist in meinem Koffer !“

Anlässlich der ‘Olympischen Sommerspiele 2000‘ in Sydney, reiste Haig Prieste auf Einladung nach Australien, um die Fahne dem ‘Internationalen Olympischen Komitee‘ (IOC) zurückzugeben. Als Haig Prieste erfuhr, dass er die Fahne dem IOC-Präsidenten Juan Antonio Samaranch übergeben sollte, fragte er ihn: “Was machen Sie damit ?“

Die Fahne wird seitdem im ‘Olympischen Museum‘ in Lausanne ausgestellt. Haig Prieste verstarb 2001, im Alter von 104 Jahren.

Volkmar Scholz

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